Die Story, die sich vor 45 Jahren im Ostteil Berlins abspielte: Der KURIER fand sie jetzt im Stasi-Archiv in einer Akte.
Daraus geht hervor, wie sehr Mielkes Leute im Frühjahr 1966 nicht nur Biermann sondern auch die US-Sängerin fürchteten, die mit Liedern wie „Sag mir, wo die Blumen stehn“ damals lautstark gegen den Vietnam-Krieg protestierte, was eigentlich ganz im Sinne der DDR-Führung war. Die Stasi schreckte nicht einmal davor zurück, Baez zur Fahndung auszuschreiben, als sie am 1. Mai 1966 über den Übergang Checkpoint Charlie zu ihrem ersten DDR-Auftritt nach Ost-Berlin einreiste.
„Der Auftrag ist besonders gewissenhaft und konspirativ durchzuführen“, lautete der Befehl zur Fahndung und damit zur Rund-um-die-Uhr-Bewachung der Sängerin. Das geschah aus nur einem einzigen Grund: Die Stasi wollte mit allen Mitteln verhindern, dass der West-Star den seit 1965 mit Auftrittsverbot belegten Ost-Liedermacher Wolf Biermann trifft.
Denn die DDR-Führung plante in den Zeiten des Kalten Krieges, Joan Baez für ihre politischen Ziele zu missbrauchen. Die amerikanische Sängerin, die noch heute offen den Kapitalismus und ihr Land kritisiert: Das so ein Welt-Star ausgerechnet an einem 1. Mai in der „Distel“ ein Konzert gibt – diesen Propaganda-Clou wollte sich der SED-Staat, der sein Volk mit Hilfe einer Mauer einsperrte, nicht von Regime-Gegnern wie Biermann vermasseln lassen.
Denn MfS-Spitzel fanden heraus, dass sich Joan Baez am Vortag ihres DDR-Konzertes in West-Berlin mit dem dortigen Kabarettisten Wolfgang Neuss traf. Jener Mann, der Biermanns kritische Lieder und Gedichte im Westen veröffentlichte, riet der Sängerin, den in der DDR verhassten Künstler zu treffen.
Um unerwünschte Personen nicht in das Baez-Konzert zu lassen, durfte nur ausgesuchtes Publikum in die „Distel“. Da aber das DDR-Fernsehen den Auftritt aufzeichnete, nutzte die Sängerin eine Kamera-Probe am Nachmittag, um vor ihren Bewachern zu flüchten.
Baez erzählte, sie wolle sich in der Garderobe ausruhen. In Wahrheit verschwand sie aus dem Theater-Hinterausgang. Kurz vorm Auftritt war sie wieder da – mit Biermann. Und er hatte eine Konzert-Karte!
Zähneknirschend notierte die Stasi, wie Biermann sich in die letzte Saal-Reihe setzte und es zum Eklat kam. Denn bevor Joan Baez ihren Song „Freedom“ („Freiheit“) anstimmte, sagte sie vor laufenden Kameras: „Ich widme diesen Song Mr. Biermann.“ Die Panne spielte die Stasi in der Akte herunter. Da Baez „Biermann“ wie „Bärmann“ aussprach, hätte keiner im Saal verstanden, um wen es dabei ging.
Doch Biermann und Baez tricksten die Stasi ein zweites Mal aus. Am Folgetag kam die Sängerin wieder nach Ost-Berlin, um angeblich zu shoppen. Doch in der Leipziger Straße stieg sie in den VW-Käfer von Wolf Biermann ein. Hilflos mussten ihre Stasi-Bewacher mit ansehen, wie das Paar zur Wohnung des Liedermachers in die Chausseestraße fuhr.
Für die DDR-Funktionäre hatte diese Treffen später ein böse Nachspiel. Baez war von Biermann so begeistert, dass sie nun auf ihren weltweiten Tourneen seine Lieder sang, die er in seiner Heimat nicht singen durfte.